Force Inc. Music Works (1991)
Gründungsort:
Frankfurt
Gründungsmitglieder:
Achim Szepanski
Anzahl der Releases:
490
Reinhören:
Diskografie:
Discogs
Liner Notes
von Matthias Vogt

Wieso war dieses Label so wichtig für die Entstehung von Techno & House in Deutschland?

„Schwierige Frage [Matthias lacht]. Es gibt bestimmt Menschen, die sagen Force Inc. war gar nicht so wichtig. Für mich war es wichtig. Wichtig auf mehreren Ebenen. Force Inc. hatte damals einen unglaublichen Output. Die schiere Menge allein hat dafür gesorgt, dass das Label auf dem Tablett war. Achim [Achim Szepanski, Begründer des Labels; pers. Anm.] hat für jeden Sound ein neues Sublabel gegründet. Und dementsprechend vielfältig war der Output. So viele verschiedene Ebenen der elektronischen Musik zu bedienen, war unglaublich wichtig für die Entwicklung von House und Techno.

Achim hatte dabei ein Stammteam von Producern, die allesamt sehr talentiert waren. Thomas Heckmann, Alec Empire, Ian Pooley und noch einige mehr. Viele kennt man heute noch. Er hatte dabei ein wirklich gutes Händchen für seine Produzenten. Vor allem hat er aber an sie geglaubt und rausgehauen, was sie produziert haben. Die Alben, die damals eher untypisch für die Szene waren, promotete er mit aufwendigen Picture Discs und grafischen Artworks. Dabei war das Albumformat damals gar nicht so wichtig. Den nächsten Clubhit zu landen war das große Ziel. Ehrlich gesagt war das damals auch mein Ziel. Ich wollte damals, dass die Leute zu meinem Track tanzen. Alles in allem gab es damals wenige Alben, die wirklich wichtig waren. Aber die Artists haben es ihm zurückgezahlt, indem sie mit ihren Produktionen ablieferten.

Ich glaube auch, dass Achim jeden Pfennig, den er verdient hat, wieder in seine Artists reinvestiert hat und damit für den enormen Output und die Vielseitigkeit des Labels gesorgt hat. Man muss dazu sagen, dass es damals auch kaum Gepose innerhalb der Szene gab. Statussymbole wie beispielsweise im Hip-Hop spielten eine untergeordnete Rolle. Für mich war die Szene und insbesondere Force Inc. damals vergleichbar mit dem Jazz, wo es auch in erster Linie immer um die Musik geht. Das war schon etwas Besonderes an der Szene, würde ich sagen.

Durch sein Portfolio und den großen Output kam Achim sehr früh auch an die amerikanischen Artists ran. Robert Hood und andere haben früh auf Force Inc. released. Auch hier bewies er wieder ein Händchen für zeitgenössische Musik. Die Mischung aus jungen lokalen und internationalen Artists war wichtig für die Entwicklung von Force Inc. Achim hatte dabei schon früh einen Plan und war damit den anderen Labels häufig einen Schritt voraus. Das lag natürlich aber auch daran, dass Force Inc. einen so großen Output hatte und sich damit so breit aufstellte.

Was mich besonders gereizt hat und das Label von vielen anderen unterscheidet ist, dass Force Inc. von Anfang an sehr politisch war. Und das aus dem linksradikalen Spektrum. Damals erschien ein Sampler zu Lichtenhagen - Tracks wieHetzjagd auf Nazis“ mit Samples wie “Der neunte Schuss ging sauber durch die Stirn“ bezeugen ganz klar die politische Haltung des Labels.

Ach und Force Inc. war sehr früh dran mit dem Merch-Kram. Ich hatte einen Pulli, eine Plattentasche und mehr - da waren die sehr früh dran und Achim hatte einen guten Riecher dafür, wie man seinen Namen aufs Tablett bringt!“

Welche ist deine Lieblingsplatte von diesem Label? Wieso? 

[Matthias denkt kurz nach] „Ich habe eigentlich keine dezidierte Lieblingsplatte. Ich habe viele, die mir aus verschiedenen Gründen etwas bedeuten, aber es gibt nicht die eine. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ich damals sehr früh vom Groove Magazine, für die ich ja geschrieben habe, als Force Inc.-Beauftragter abgestellt wurde und regelmäßig bei Achim in Frankfurt war, um mir die neuen Platten anzuhören und anschließend Rezensionen darüber zu schreiben.“ 

Welches andere Label würdest du mit diesem Label in einem Satz nennen? Wieso?

„Es gibt für mich kein vergleichbares Label. Das mag vor allem daran liegen, dass Force Inc. so unglaublich vielfältige Sounds bediente und so viele Sublabels besaß. Wenn ich an einige meiner anderen Lieblingslabels denke, haben diese oft einen sehr bestimmten Sound in ihrem Output. In gewisser Weiße einen Vorbau, der wie ein Dach über den Sounds liegt. Aber Force Inc. hatte durch die zahlreichen Sublabels einen so unterschiedlichen Sound, dass es für mich eigentlich nicht nur ein Label ist, sondern viele Labels in einem. Daher kann ich kein anderes Label in einem Satz mit Force Inc. nennen.“

Kannst du dich daran erinnern, wo und wann du dieses Label zum ersten Mal gehört hast? 


„Ohhh ja, ich glaub schon - eigentlich hatte ich zwei erste Erlebnisse, glaube ich. Ich erzähl aber das eine, das ist schöner [Matthias lacht]. Ach, warte. Ich kann’s ja nachschauen [schaut auf’s Handy] Na siehste’, das schönere war sogar das erste".

[Matthias legt die Force Inc. No. 4 auf] „1991 war ich in einem DJ-Team. [Matthias lacht] Damals waren wir Residents im KUZ in Mainz. Das war ein sehr großer Laden und wir haben oft dort gespielt. Mein Partner arbeitete damals im Plattenladen in Wiesbaden. Da hab ich ihn natürlich oft besucht, das war so was wie unsere Homebase. Und immer, wenn ich da war, konnte er mir natürlich die neusten Tracks vorspielen. Und eines Tages tauchten da zwei superjunge Typen auf. [Matthias sucht, während er erzählt, eine weitere Platte raus] Die drückten mir diese Platte hier in die Hand [die Platte ist ein White Sample nur im Inlay wo mit Edding drauf steht „Fördert das Mainz!“; pers. Anm.] Das waren Ian Pooley und DJ Tonka [Thomas-René Gerlach; pers. Anm.]. [Matthias lacht] Die hießen damals T`N`I zusammen. Da ich damals Kritiken für das Groove Magazine schrieb und die Jungs das wussten, haben sie mir die Platte direkt in die Hand gedrückt. Und die hat mir wirklich arg gut gefallen - es war die Space Cube EP. Unmittelbar danach hat die Groove Redaktion einen Schreiberling gesucht der Force Inc. porträtiert. Dafür musste ich natürlich nach Frankfurt fahren. Und das war das erste Mal, dass ich im Bahnhofsviertel in FFM war. Ich musste über Crackleichen hin zu Force Inc. ins Büro. Ich dacht, wo bin ich hier gelandet. Danach bin ich regelmäßig zu Achim, weil er so einen Output hatte, dass ich dafür von Groove abgestellt wurde über Force Inc. zu schreiben. So konnte ich die ganze Geschichte mitverfolgen und hab die Platten selbst auch aufgelegt. Die Sachen haben bei mir einen Geschmacksnerv getroffen. 

Außer Mille Plateaux [Sublabel von Force Inc.; pers. Anm.] hat mir eigentlich alles gefallen. Das lag aber daran, dass ich damals kein Ambient mochte. Ich hab mich immer gefragt, warum nimmt man den Bass weg? [Matthias lacht] Ich war zu jung! Jetzt mach ich selber so ne Mucke.“ 

Mit welchen Adjektiven würdest du den Sound dieses Labels beschreiben?

„Intelligent. Viel in der Zeit damals war so ein Geprolle. Es wurde viel gesucht und viel probiert. Es wollte immer was Neues gefunden werden. Die Jungs waren vorne dran und clever! Es gibt wenig Sachen, die noch immer kicken - und Force Inc. kickt immer noch!“

Warst du schon einmal auf einer Party von diesem Label? Wo und wann? 

Force Inc. war mit dem Brückenkopf in Mainz verbandelt - der Laden war industrial, sehr roh und sehr illegal! Jeff Mills hat auf der Labelparty aufgelegt. Thomas Gerlach und Ian waren Residents, und ich durfte auch mal mit auflegen.“ [Matthias lacht]

Wenn du den Sound von zwei Labels fusionieren könntest, welche wären das? Wieso? Oder welche Artists hättest du gerne mal auf dem Label gehört? 

Djax Up Beats [niederländisches Label, welches sehr aufwendige Gestaltung der Plattencover hatte; pers. Anm.] und Force Inc.. Weil die sich ein Fach bei mir im Plattenregal teilen! [Matthias lacht] Der Look von Djax Up Beats mit dem Sound von Force Inc., das würde mich reizen.“

Weißt du etwas über dieses Label was sonst kaum jemand weiß?

[Matthias lacht] „Oh ja! Eine ganze Menge… aber nichts was ich hier teilen kann. Vielleicht doch:

Dass es eine Force Inc. Platte von mir gibt! DJ Matt - Die Tiefe/Augen zu [Matthias sucht die Platte raus]. Die Platte und der Name sind von 1999. Den Namen hab ich dann aber aufgegeben. [Matthias legt die Platte auf]

Die Platte kam damals auf Force Inc. U.S. Edition raus. Das Sublabel hatte einen deeperen House Sound. Achim hat mir damals die ersten Force Inc. U.S. Sachen in die Hand gedrückt und mir über das Konzept erzählt, da ich ja die Rezensionen schrieb. Meistens gefiel mir die Musik von den deutschen Force Inc. Sachen, aber so was in der Art habe ich selbst nie produziert. Bei Force Inc. U.S. Edition war der Sound dann auf einmal sehr nah an meinem. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber es kann sein, dass er gefragt hat, ob ich jemanden kenne, der in diese Richtung produzieren würde oder ich hab ihm eine Demo von mir gegeben. Das weiß ich nicht mehr genau. Ich habe damals schon seit 1992 Musik gemacht und kannte Force Inc. seit Anfang an. Zunächst bin ich mit Pansen Records eingestiegen und hab eher in Richtung Breakbeat produziert. Dann kam von Goldie „Inner City Life“ und da haben wir alle aufgehört Break Beat zu machen, weil „Inner City Life“ einfach zu gut war. Das müsste so 1995 gewesen sein. Dann bin ich eher auf den House-Sound umgestiegen und hab die ersten House-Partys gemacht. Als dann mein Release auf Force Inc. 1999 kam, war das schon der erste Touchdown. [Matthias lacht]

Danach hab ich ganz viel auf INFRAcom! released und die haben sich damals die Räumlichkeiten mit Force Inc. geteilt. So kam der Kontakt. Immer wenn ich Achim Demos vorgespielt habe, hat Namé von INFRAcom! seinen Kopf durch die Tür gesteckt und gefragt, „was ist das denn für `ne Musik?“ Achim hat die Musik aber auch so dermaßen aufgedreht, dass die Jungs nebenan es nicht überhören konnten. Dann wurde ich zweimal abgelehnt und Namé hat mich dann für INFRAcom! gesigned. Es blieb also leider bei dem einen Release auf Force Inc.

Was innerhalb des ganzen Labelkatalogs von Force Inc. gegen Ende nochmal hochgegangen ist, war dieser dubige House-Sound. Der hat damals den „normalen“ House-Sound an die Wand gefahren, da Force Inc. sich nicht mehr ständig weiterentwickelt hat wie in den Jahren zuvor. Dann wurde Force Inc. nicht mehr so innovativ und explorativ wie früher. Achim hatte sich damals dann aber auch vermehrt auf Mille Plateaux konzentriert.

Als Mille Plateaux anfing hab, ich auch noch fürs Groove Magazine geschrieben. Beispielsweise das Album von Alec Empire, Low on Ice, das ist ein super Album. Dann kam ein Cut beim Groove Magazine, sodass ich persönlich dort aufgehört und mich auf mein eigenes Jazzstudium konzentriert habe. Aber die 90er über habe ich Force Inc. begleitet.“

Gehört haben wir: 

Space Cube EP (FIM 004)

Akufen – Deck The House (FIM 006)

Force Inc. 100 - LP Various Artists (FIM 100)

DJ MATT - Die Tiefe/Augen zu (FIM US 43)

Matthias Vogt
Herkunft:
Rüsselsheim am Main
Background:
Produzent, DJ, Jazz Pianist und Keyboarder
Aktiv seit:
1990
Website:
Sound:
Reinhören
Diskografie:
Zu Discogs
Info:

Nach der Ausbildung zum Kirchenmusiker im Nebendienst in Mainz von 1986 bis 1988 gründete Vogt mit der Deutschrock-Gruppe FDH seine erste Band. Seit 1990 betätigte er sich einerseits als Keyboarder und Sänger bei zahlreichen Bands und Projekten, andererseits als DJ: zunächst im KUZ in Mainz, dann in Das Rind in Rüsselsheim, später in Frankfurt. 1992 gründete er das Breakbeat-Label Pansen Records. Seit 1994 verfasste er Theatermusiken und produzierte als DJ Matt House für diverse Labels. Während seiner Ausbildung zum Berufsmusiker und Instrumentalpädagogen für Jazz und Popularmusik an der FMW Frankfurter Musikwerkstatt[1] war er an Jazz-Projekten wie Ben’s New Tribe oder The New Fusion beteiligt, bevor er mit Seelenbande spielte und mit Bassist Andreas Manns und dem Schlagzeuger Volker Schmidt das Matthias Vogt Trio gründete. Auf den Produktionen des Trios sind auch Roger Cicero und Dania König zu hören. In einem größeren Format spielt er mit [re:jazz].[2] Zusammen mit C-Rock bildet er die Deephouse-Formation Motorcitysoul. Im Funkjazz-Quartett The Pinocchio Theory (mit Gitarrist Jan Stürmer, Bassist Matthias Diesenroth und Schlagzeuger Andreas Neubauer) werden getreu der Devise „If you fake the funk your nose will grow“ (George Clinton) neben Eigenkompositionen Coverversionen von Stücken von Bill Withers, Grant Green oder The Meters adaptiert.[3] Als DJ war Matthias Vogt regelmäßig im Cocoon Club in Frankfurt tätig, dem Club von Sven Väth. Hier hatte er zusammen mit C-Rock die Reihe Our House aus der Taufe gehoben. 1999 erhielt er das Förderstipendium der Stadt Rüsselsheim.